The Dark Side Of The Moon (Schatten im Paradies)

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Irland stellen sich viele Menschen als grüne Insel vor, bewohnt von komischen kleinen Menschen, die lieb und freundlich sind, den ganzen Tag saufen und musizieren. Das stimmt so natürlich nicht. Erstens sind durchaus nicht alle Iren musikalisch oder spielen ein Instrument und mit dem nett und freundlich ist es abseits von den Touristenpfaden gelegentlich auch nicht soweit her. Es gibt also auch Schatten im Paradies Irland.

In mancher Hinsicht ist Irland dann doch ein Entwicklungsland. Der industrielle Boom der Neunziger und vor allem die damit verbundene Explosion der Hauspreise hat so manchem einen gewissen Wohlstand gebracht. Eine Kate im Dubliner Süden war plötzlich 800.000 Euro wert und da sind mit einigen Leuten die Pferde durchgegangen. Durch den großen Bankencrash 2008/2009 hat sich das zwar etwas beruhigt (Irland hat es mit am Schlimmsten erwischt), trotzdem müssen wir mit den Folgen leben.

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“Nationalisten” gibt es auch in Irland

Ökonomisch mag Irland sich im Sauseschritt entwickelt haben, die gesellschaftliche Entwicklung konnte an etlichen Stellen jedoch nicht mithalten. Irland ist auch das Land der Jogginghosen, Konflikte werden oft genug mit brutaler Gewalt ausgetragen und Übergriffe auf Ausländer sind nicht so selten, wie man denken sollte. Nun unterscheidet sich Irland damit nicht von anderen Ländern, nur steht es halt nicht in diesem Ruf.

Die überwiegende Mehrheit der Iren ist nachwievor freundlich und aufgeschlossen, je nachdem wo man wohnt, gibt es aber halt auch eine mehr oder weniger starke Fraktion von nennen wir sie mal Nationalisten. Gerade für Neuankömmlinge kann das zu einem Kulturschock ausarten. An die falschen Leute kann man halt überall geraten und das gilt ganz explizit auch für Irland.

Ganz besonders Dublin bleibt einem nicht nur in dieser Hinsicht in unangehmer Erinnerung. Alles ist völlig überteuert bei oft miserabler Qualität. Negatives Highlight sind die Hauspreise und Mieten. Für ein kleines Zimmer (ca. 15 qm) in einem Haus, dass man sich mit anderen Leidensgenossen teilt, muss man in den Vororten locker 300-400 Euro anlegen, die Preise in Dublin selbst sind noch einmal beträchtlich höher. Eine Einraumwohnung bekommt man mit viel Glück ab etwa 800 Euro (wohlgemerkt in den Vororten!).

Lebenshaltungskosten sind hoch

Supermärkte sind im Schnitt doppelt so teuer wie in Deutschland, dafür orientiert sich das Sortiment mittlerweile vermehrt auch an kontinentalen Ansprüchen. Immerhin etwas. Es ist noch nicht sooo lange her, da beschränkte sich das Wurstsortiment auf Schinken und Corned Beef. Salami kaufte man als Delikatesse zu entsprechenden Preisen.

Mit dafür verantwortlich sind übrigens deutsche Discounter. Seit es in Irland Aldi und Lidl gibt, müssen sich gestandene Läden wie Tesco, Superqinn und Dunnes an denen messen lassen. Das geht (neben dem Sortiment) am Besten über die Preise und die gingen seitdem steil nach unten.

Rezession und der Absturz des Britischen Pfund taten ein Übriges. Zum Schoppen nach Deutschland fliegt kein Mensch, schnell über die Grenze nach Nordirland zu fahren, ist dagegen kein Problem. Große Autos haben wir alle – wir waren ja mal reich und sind alle pro global warming – also machen sich immer mehr Leute auf den Weg nach Norden, vor allem wenn es um größere Anschaffungen geht. Da klingeln bei den lokalen Märkten die Alarmglocken und sie jammern auch heftig, verdenken kann man es den Leuten aber nicht. Lang genug über den Tisch gezogen wurden sie und bei Geld hört auch der Patriotismus auf.

Planung ist alles

Die Iren halten sich selbst für “laid back”, in vielen Bereichen führt das allerdings dazu, dass absolut nichts funktioniert. Zum Beispiel die Infrastruktur der neu aus dem Boden gestampfte Viertel zeugt nicht unbedingt von einem veränderten Bewusstsein oder dass man aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hätte. Anstatt die Erschließung von neuen Baugebieten zu nutzen, auch die Infrastruktur anzupassen, baut man so wie man es kennt. Das Resultat sind tägliches Verkehrchaos und regelmäßige Überflutungen.

Dublin / Blanchardstown nach einem Tag Regen (Photo R. Nidschelm – 2002)

Zwar regnet es in Irland eher häufig, dass bedeutet aber nicht, dass man darauf eingestelt wäre. Die (durch mich) geschätzten 330 Niederschlagstage im Jahr haben nicht dazu geführt, dass an eine vernünftige Kanalisation gedacht wird. Nach 6 Stunden von etwas was wir als normalen Regen bezeichnen würden, stehen die Straßen unter Wasser, nach zwei Tagen das ganze Land. Premierminister Bertie sagt seinerzeit (Ist schon ne Weile her.

Ministerpräsident Berti gibt es schon lange nicht mehr), es läge an der erhöhten und so nicht absehbaren Regenmenge, laut meiner irischen Kollegen liegt es ganz einfach daran, dass es zwar eine Planungs- und eine Baukommission gibt, beide aber a) zur selben Zeit mit den Projekten anfangen (Planungs- und Bauphase finden also gleichzeitig statt) und b) beide Behörden sich nicht ausstehen können und deswegen nicht miteinander reden. Das führt zu kuriosen Ergebnissen.

Auch Irland kann BER

Mein persönliches Lieblingsdesaster ist ja der Dublin Tunnel. Dieses prestigeträchtige Großprojekt – es handelt sich um einen Verkehrstunnel zum Hafen, der die Innenstadt vom Schwerverkehr entlasten sollte – geriet zu einer Posse, die selbst im in dieser Beziehung nicht gerade verwöhnten Irland für Aufsehen sorgte. Nach Beginn der Bauarbeiten wies ein Reporter darauf hin, dass bei den gegenwärtigen Maßen größere LKW’s nicht durch den Tunnel passen würden. Er ist schlicht und ergreifend nicht hoch genug. Die Reaktion der verantwortlichen Behörden war folgende: Laut Regierungssprecher würden kleine LKW’s durchaus da durch passen und es sei genau so von Anfang an gedacht gewesen.

Unnötig zu erwähnen, dass auch in Irland die überwiegende Mehrheit des Lastverkehrs von ganz normalen LKW’s erledigt wird. Zeitweise hatte man sich wohl sogar überlegt, diese größeren LKW’s einfach aus dem Straßenverkehr zu verbannen. Was aus dieser Posse wurde, weiß ich nicht, allerdings hat mir ein bei einer Spedition angestellter Freund erzählt, dass die Dubliner Innenstadt für den LKW-Verkehr kurzerhand gesperrt wurde. So kann man das Problem natürlich auch lösen. Es ist ein etwas darwinistischer Ansatz, bei den Dinosauriern hat das aber auch geklappt.

Hinweis! Ich habe lange, lange Zeit in Berlin gewohnt und wir Deutschen haben wahrlich kein Recht, uns über Planungsdesaster lustig der Iren zu machen. Immerhin ist der Dublin Tunnel seit Jahren in Betrieb, der BER ist nach wie vor eine Industrieruine. Und zu Stuttgart sage ich an der Stelle gar nichts. Zu meiner Entschuldigung, der Artikel entstand Mitte der 2000er! Da war das echt nicht absehbar. So ändern sich die Zeiten. Heute lachen die Iren sich über die Deutschen kaputt.

Das Leiden mit den Öffis

Ein weiterer Klassiker ist der ÖPNV (Öffentlicher Personen Nahverkehr). Wer einmal in Dublin Bus gefahren ist, weiß was er getan hat. So etwas wie Fahrpläne gibt es per se nicht, dafür hängt an jeder Haltestelle eine Übersicht, wann der Bus von der Starthaltestelle losfährt. Verlässt nun alle fünf Minuten ein Bus diese Starthaltestelle, bedeutet das nicht, dass auch an der aktuellen Haltestelle alle fünf Minuten ein Bus fährt. Es ist sogar hochgradig unwahrscheinlich. Mein persönlicher Rekord liegt bei 45 Minuten an einer Strecke, wo der Bus auf den ich wartete, alle fünf Minuten hätte fahren sollen. Nicht nur mein Bus glänzte durch Abwesenheit, auch von den fünf anderen Buslinien die dort langfahren keine Spur. Das Ganze ist kein Einzelfall.

Irische Busfahrer sind offenbar sehr scheu, sie fahren gern in Gruppen. Nachdem man eine kleine Ewigkeit gewartet hat, darf man dann meist zwischen vier Bussen wählen. Hat man ersteinmal einen der relativ modernen Doppelstockbusse betreten, kann man was erleben. Selbst dem rennbegeisterten ÖPNV Fan wird hier etwas geboten. Die Gruppe von Bussen wird sich – und das ist so sicher wie das Guinness im Pub – für den Rest der Strecke ein Rennen liefern. Ja man bekommt etwas für sein Geld, oft sogar mehr als man wollte. Fairerweise muss ich sagen, dass ich nur einen einzigen Unfall erlebt habe. Nun bin ich nicht so wahnsinnig viel Bus gefahren, in Anbetracht des Fahrstils finde ich es trotzdem bemerkenswert.

Ich mag Irland!

Ich will hier nicht den falschen Eindruck erwecken. Irland ist insgesamt ein guter Platz zum Leben, nur hat es halt auch seine Schattenseiten. On und wie man diese warnimmt, hängt oft davon ab, wo man ist. In manchen Teilen von Dublin empfiehlt es sich nicht, nachts allein auf der Straße zu gehen, ganz wie in jeder anderen Großstadt also. Und auch ob es sich lohnt, eine Hausrats- oder Diebstahlsversicherung abzuschließen, hängt stark davon ab, wo man wohnt. Gerade im Zusammenhang mit sportlichen Großereignissen, geht Manchem das Temperament durch und man muss etwas aufpassen, mit wem man sich einlässt.

Wenn man sich erstmal etwas besser auskennt, ist das kaum noch ein Problem, man meidet bestimmt Gegenden einfach und bestimmte Leute. Im Großen und Ganzen ist auch Dublin relativ sicher. Die meisten Gewaltverbrechen sind im Zusammenhang mit Gangs, Drogen und Waffenhandel. Die Chance, in so etwas verwickelt zu werden, sind insgesamt glaube ich gering, passieren kann es trotzdem.

Wie in wohl fast jedem anderen Land gibt es diese Schattenseiten halt auch in Irland. Nach außen hin bekommt man davon kaum etwas mit und das ist auch gut so. Ich habe in all den Jahren fast nur gute Erfahrungen gemacht, allerdings habe ich auch genügend Leute getroffen, die nach kurzer Zeit frustiert und enttäuscht das Weite gesucht haben. Wer sich dagegen keinen Illusionen hingibt und vielleicht auch einfach etwas Glück hat, kann hier durchaus sein eigenes kleines Paradies finden. Es hat schon seinen Grund, dass Irland bei Umfragen zum Thema Glück und Lebensqualität immer auf einem der vordersten Ränge landet.