Ein frisches Pint Guinness

Hohe Kunst und niedere Triebe

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Eine der Attraktionen der irischen Hauptstadt sind literarische Besäufnisse. Zu den Texten großer Iren tingelt man von Pub zu Pub; auf den Spuren von Oscar Wilde, Samuel Beckett, Brendan Behan und natürlich James Joyce. Das Ganze gibt es sogar in organisierter Form, es spricht aber natürlich nichts dagegen, in die Fußstapfen seines ganz persönlichen Helden zu treten.

Es heißt, Dublin habe mehr große Schriftsteller hervorgebracht als jede andere Stadt in der Welt. Ob das stimmt sei mal dahingestellt, wahr ist, dass sich die irische Hauptstadt mit einigen literarischen Schwergewichten schmücken kann. Wir wären nicht in Irland, wenn der wissbegierige Reisende seine Neugier nur in Museen stillen müsste.

Natürlich gibt es das “Dublin Writers Museum” und das James Joyce Centre, es gibt alljährlich aber auch den Bloomsday carnival (am 16. Juni), ein im wahrsten Sinne des Wortes Fest der Literatur, und den allseits beliebten Dublin Literary Pub Crawl.

Es gibt eine Theorie, dass die literarische Szene Irlands deshalb so bunt ist, weil das Land über Jahrhunderte von den bösen Engländern besetzt war. Die Autoren waren gezwungen, sich kreativ mit Sprache auseinanderzusetzen, sie zu modifizieren. Da mag was dran sein. Bestimmte Literaturgattungen brauchen Feinde, was nützt das eloquenteste Pamphlet wenn es allen gut geht? Im Widerstand ist die Sprache kraftvoll, Literatur wird zur Waffe.

Bobby Sands

Feindbilder gab und gibt es in der irischen Geschichte nun wahrlich genug. Bücher wie das Tagebuch des Bobby Sands (“Writings from prison“) können so wohl nur in Irland entstehen. Wem der Name nichts sagt (Das Werk ist bemerkenswert unbekannt): Bobby Sands schrieb es während seines Gefängnisaufenthalts in Her Majesty’s Prison (HMP) Maze in Long Kesh. Obwohl alle schwerwiegenden Anschuldigungen vor Gericht abschmettert wurden, verurteilte man ihn wegen illegalen Waffenbesitzes zu 14 Jahren Haft. Während seiner Haft fing er an für die Zeitung “Republican News” zu schreiben, bekannt wurde er vor allem für seine poetischen Werke.

One day in my life” beschreibt einen Tag in seinem Leben als Gefangener. Am ehesten erinnern die Schilderungen an Berichte von ehemaligen KZ-Häftlingen; Hunger, Kälte, Demütigung und Misshandlung. Es ist ein eindringliches und beklemmendes Stück Zeitgeschichte. Er schrieb das Tagebuch mit einem Stift, den er in seinem Körper versteckte und auf Toilettenpapier. Es wurde seinerzeit aus dem Gefängnis geschmuggelt.

Bobby Sands starb am 5. Mai 1981 an den Folgen eines Hungerstreiks. Kurz vorher, schon während des Hungerstreiks, war er zum Parlamentsabgeordneten gewählt worden. Er widerstand allem Druck und sogar einer Note des Papstes, seine politischen Ziele aufzugeben. Er wehrte sich gegen die Kriminalisierung des irischen Widerstands und erkannte die Autorität zum Beispiel des Gerichtes, dass ihn verurteil hatte, nicht an. Insgesamt zehn Gefangene traten mit ihm in den Hungerstreik; keiner von ihnen überlebte. Sands starb am sechsundsechzigsten Tag des Streikes im Gefängniskrankenhaus. Politisch verantwortlich in jenen Tagen: Maggie Thatcher. Sie trug ihren Namen “Eiserne Lady” nicht zu Unrecht. Zur Beerdigung Sands kamen 75.000 Menschen. Bis auf den heutigen ist er eine kontroverse Figur und zutiefst verhasst unter den Unionists.

Harte Zeiten, große Kunst

Bobby Sands ist sicher ein extremes Beispiel, tragische Schicksale gab es unter den irischen Literaten aber schon immer. Das gilt für James Joyce genau so wie für Brendan Behan oder Oscar Wilde. Keiner weiß genau, woran es liegt, doch besonders Dublin glänzt mit einer besonderen Stimmung. Man kann sich treiben lassen, allein sein inmitten von Menschen.

Mit einem Guinness im Pub wird so mancher zum Poeten. Persönlich würde ich es mit dem Blues vergleichen; grundlose Traurigkeit ohne besonderen Anlass. Dieses besondere Gefühl, tragische Größe in der Banalität des Alltäglichen. Wer sich darauf einlässt, versteht schnell, was so inspirierend daran ist, in einem dunklen Pub zu sitzen und die Seele baumeln zu lassen. Die Misere, der Regen, die trüben Aussichten lassen die Seele ganz schnell in andere Sphären entschwinden, die bessere Welt in der Ferne.

OK, ich bin kein Literat, aber ich kann mir vorstellen, dass es für einen begabteren Schreiber eine echte Inspiration ist. Kommen wir zurück zum Thema: Das literarische Besäufnis.

Literarische Besäufnisse

Damit der wissbegierige Reisende einen fundierten Einblick in die irische Literaturszene bekommt, lesen auf dem Pubcrawl zwei professionelle Schauspieler aus den Werken der Meister. Am besten philosophiert es sich bekanntlich am Tresen und so kommt bei dieser Gelegenheit zusammen, was zusammengehört. Damit es Laien nicht zu langweilig wird, sind die Lesungen unterbrochen von ein paar Liedchen und einer ganze Menge Anekdoten. Für Kurzweil ist gesorgt und da der Konsum einiger Gläser Guinness durchaus erwünscht ist, lockert sich auch die Stimmung zusehends.

Die Tour startet im Dukes. Schnell werden unbedarfte Teilnehmer aufgeklärt, was es mit dem Pub und der Gasse in der er liegt auf sich hat. James Joyce verlegte große Teile seines Ulysses hierher. Auch über das warum werden wir natürlich aufgeklärt, doch ich will niemandem die Spannung rauben.

Am Trinity College vorbei unter der Great Clock gibt man Wilde und wir lernen etwas über die Bedeutung des Trinity College für die Literaturszene. Nächster Stop ist Sean O’Casey und vor schon erwähnten Mulligan’s lernen wir, das JFK in den Vierzigern hier verkehrte, als er für die Hearst newspapers arbeitete.

O’Neills in der Sutton Street verbindet sich mit dem Namen Sam Beckett, die Palace Bar mit Flann O’Brien. Zu diesem Zeitpunkt sollten die meisten Teilnehmer des events schon ordentlich einen sitzen haben und die Stimmung entsprechend entspannt sein.

Flann O’Brien

Einer meiner persönlichen Lieblinge ist übrigens besagter Flann O’Brien. Wie wir gerade gelernt haben, frönte er seinem Laster in der Palace Bar (Fleet Street). Mit ihm verbindet sich eine besonders schöne Geschichte. Der sogenannte “James Joyce für Säufer” trank seinen Whiskey mit Samthandschuhen, weil er seiner Mutter am Sterbebett versprechen musste, dass Teufelszeug nicht mehr anzurühren. Das nenne ich aufrecht. Ganz nebenbei verfasste er herrlichen Alltagsgeschichten und gilt zu Recht als einer der bedeutendsten irischen Autoren des 20. Jahrhunderts.

Die Palace Bar rümt sich übrigens damit, dass sich seit der Eröffnung im Jahre 1828 nichts geändert hat. Nun ja der Bierpreis aber ansonsten ließ man alles beim Alten. Man sagt, dass in den guten alten Tagen die Herausgeber der Irish Times die gesamte Zeitung von einem der Hinterzimmer aus produzierten. Es war bekannt als die “Intensivstation”. Mittlerweile sollen sie auf konventionelle Büros umgestiegen sein. Ob das daran liegt, dass ihr vielleicht bekanntester Kolumnist (Flann O’Brien) schon lange nicht mehr unter den Lebenden weilt, ist nicht bekannt.

Eine kleine Info noch am Schluss:

Der “Dublin Literary Pub Crawl” startet zumindest im Sommer jeden Abend um 19.30 im Dukes

Tel: Dublin (01) 670 5602
Website: www.dublinpubcrawl.com