Recycling auf Irisch

Irland an vorderster Front – bei Internetsperren

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Das hört man doch gern; in Irland werden große Brötchen gebacken. Nichts ist mehr mit zaghafter Zurückhaltung. Irland katapultiert sich zumindest in einem Bereich an die vorderste Front. Worum es geht? Tja, das ist die schlechte Nachricht: Internetsperren.

Irland hat sich gern mal als „Insel der Innovationen“ bezeichnet. Das war in den guten alten Tagen, vor dem Quasizusammenbruch. Das Land mauserte sich zu einem der Vorzeigestandorte für junge, hippe IT-Unternehmen und natürlich auch die Elefanten des Business. Fast alle großen Tech Unternehmen sind im Land vertreten und daran hat sich auch nichts geändert. Umso seltsamer ist, was die irische Regierung im Moment in Sachen Netzsperren treibt.

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Jede Seite kann gesperrt werden

Während US-amerikanische Senatoren in Sachen SOPA mit Volldampf zurückrudern, lehnen sich ihre irischen Kollegen gerade so richtig weit aus dem Fenster. Es geht im Grunde darum, dass Rechteinhaber den Zugang zu Webseiten sperren lassen können. Dadurch sollen illegale Downloads gestoppt werden. So wie das Gesetz formuliert ist, können Rechteinhaber aber Seiten sperren lassen, von denen sie auch nur denken, dass dort Copyrights verletzt werden. Klingt immer noch nicht so schlimm? Dann schauen wir mal in die Details.

Je nach Formulierung könnte der Richteinhaber JEDE Seite sperren lassen, die seine Rechte in irgendeiner Weise verletzt und er baucht es weder beweisen noch einen richterlichen Beschluss. Da geht es wirklich ans Eingemachte. Das betrifft eben nicht nur Seiten wie Pirate Bay, sondern – ganz genau betrachtet – auch so hübsch unscheinbare Webangebote wie die Google Bildersuche oder Facebook.

Und es würde natürlich auch youtube treffen und Newsportale wie Google News und Yahoo; natürlich LinkedIn, Tumblr, Delicio.us. und alle anderen Seiten, die in irgendeiner Form mit dem Internet interagieren. Theoretisch könnten all diese Seiten gesperrt werden. Dürfen LinkedIn, Google, Facebook und Co. ihre europäischen Hauptquartiere in Irland dann eigentlich behalten oder was wird aus denen?

Einladung zur Abzocke

Wie Musik Labels und Konsorten ein solches Geschenk nutzen würden, haben sie ausreichend unter Beweis gestellt. Da werden 12 Jährige vor den Kadi gezogen, eine Oma ohne eigenen Computer abgeurteilt, Millionenforderungen gegen Eltern gestellt, die keine Ahnung haben, was ihre Kiddies da so am Rechner veranstalten. Die Industrie versucht, die wegbrechenden Einnahmen aus dem klassischen Geschäft – heutzutage kann jeder Künstler ohne viel Aufwand einen eigenen Vertriebskanal aufbauen – mit Klagen gegen Nutzer zu kompensieren.

Spötter merken dieser Tage an, dass Mr. Megaupload Kim Dotcom Schmitz ausgerechnet jetzt verhaftet wurde, wo er ein legitimes Portal für Künstler entwickelt hat, das zumindest das Potenzial hat, auch iTunes und Amazon die Stirn zu bieten. Bei Megabox werden Künstler entlohnt, wenn sie Musik zum freien Download zur Verfügung stellen. Alternativ können sie Megabox als Vertriebskanal nutzen und kriegen immerhin 90% der Einnahmen. Das ist deutlich attraktiver als bei den Platzhirschen. Ist da jemand nervös geworden?

Wenn es nach dem Willen der Musiklobby ginge, wäre das Internet in etwa so spannend wie das Vormittagsprogramm von RTL. Für jeden Mist, den die X-Factors dieser Welt produzieren, müsste man teuer Geld hinlegen, damit man es einmal anschauen darf und Alternativen gäbe es nicht mehr.

Platzhirsche wie Google würden vermutlich einen Deal aushandeln – das machen sie ja jetzt schon – aber für neue Unternehmungen wäre im Internet kein Platz mehr. Keine Innovation, Künstler würden wieder an die Kandare gespannt werden, da es plötzlich keine alternativen Angebote mehr gibt. Wollen wir das?

Warum ausgerechnet Irland?

Warum ausgerechnet Irland vorprescht, bleibt rätselhaft. Fast noch seltsamer ist, dass die irische Presse kein Wort darüber verliert und das Fernsehen erst recht nicht. Das Thema wird unter den Teppich gekehrt.

Kürzlich organisierte die Irish Music Rights Association eine Initiative, die “3 Strikes” auch in Irland einzuführen. Wer dreimal beim illegalen Download erwischt wird, verliert seinen Internetzugang. Glaubt die IMRA, dass die Leute dann wieder CDs kaufen?

Es konnte noch niemand glaubhaft nachweisen, dass die sinkenden CD Käufe mit illegalen Downloads zu tun haben. CDs sind ganz schlicht und ergreifend eine tote Technologie. Dass Nutzer für legitime Angebote Geld ausgeben, beweist der Erfolg von iTunes. Die Studios haben es einfach nicht geschafft, eine legale Alternative zu schaffen. Stattdessen verklagen sie ihre Zielgruppe.

Ich bin einer der Menschen, die iTunes sch*$ finden und es sich niemals auf dem Rechner installieren würden. Was sind die Alternativen? Bei Künstlern direkt einkaufen – Jonathan Coulton hat das Prinzip ganz hervorragend und schon seit Jahren kultiviert – oder Radio hören. Na toll!

Was, wenn ich mal wieder in Stimmung für eine Runde Johnny Cash bin? Oder meine Roy Orbison Sammlung komplettieren will? Ich habe schon seit Jahren keinen CD Player mehr.

Technologiestandort im Mittelalter

Was die Gesetzesinitiative für die Verbraucher bedeutet, realisieren diese anscheinend nicht. Das Internet ist eine tolle Sache, ganz bestimmt aber kein rechtsfreier Raum. Es braucht keine neuen Gesetze, um Copyright Verstöße zu ahnden. Die bestehende Gesetzgebung reicht völlig aus. Dass neuerdings Lobbyisten darüber entscheiden, welche Seite am Netz bleiben darf und welche nicht – darauf läuft es hinaus – ist eine Vorstellung, die selbst nicht ganz so netzaffinen Nutzer Angst machen sollte.

Warum ausgerechnet der Technologiestandort Irland bei diesem Müll an vorderster Front kämpft, ist mir schleierhaft. Das läuft schon nicht mehr unter “mit dem Feuer spielen”, das geht schon in Richtung Selbstverstümmelung. Vielleicht sollten die Netzgiganten einfach mal ihre Muskeln spielen lassen und Irland boykottieren.

Ich würde echt gern sehen, wie der gemeine Parlamentarier Reden verfasst, wenn er keinen Zugang mehr zur Wikipedia hat. Wo die nächste Bibliothek ist, müssten die meisten dieser Großhirne, die jetzt über etwas abstimmen, was sie nicht ansatzweise verstehen, nämlich googeln. Und das ginge im Extremfall dann ja auch nicht mehr.